Predigt vom 23.02.2014

Sexagesimä 2014   Apostelgeschichte 16,9-15

Lydia war eine Frau aus Kleinasien, stammt aus Thyatira, die aus beruflichen Gründen ihr Zuhaus verlagert hat: Soll ich es mit einer sächsischen Firma vergleichen, die ihr Standbein nach Polen verlagert… Deshalb sind die Sachsen noch lange keine Polen… – soviel gegen den Europakult…

Maßgeblicher aber ist folgendes:

Eine Purpurkrämerin, so steht da: das heißt, eine Frau, die mit Purpur handelt – natürlich braucht sie dazu eine Ausgangsbasis in einer römischen Kolonie, denn Purpur trug ausschließlich und nur der Kaiser. Könige durften allenfalls einen Saum mit Purpur färben:

Purpur, das war eine kostbare Farbe, gewonnen aus Purpurschnecken: 8000 Schnecken waren nötig, um ein Fass von der Farbe herzustellen: 1650 Dukaten kostete das dann, das heißt, der Herstellerpreis lag bei 200 bis 300 Dukaten, der Rest war Handelsspanne:

Das heißt, die Taucher, die die Schnecken einsammelten, was bekamen sie? Die mühsame Herstellung der Farbe in den Manufakturen, was bekamen die Arbeiter. Die Transportkosten waren nicht erheblich – und wie ist es dann den Händlern gegangen, die die Farbe an die Färbermeister oder Tuchhändler verkauft haben…: das waren hochprivilegierte kaiserliche Hoflieferanten…

Das heißt, jene Lydia war nicht eine irgendjemand: sie konnte es mit jedem Fußballnationalspieler finanziell aufnehmen…

Damit bin ich in der Diskussion um fairen Handel mittendrin, wenn ich will. Das heißt, wird diese Frau christlich, wird sie sich der Diskussion stellen müssen, der Diskussion um Nächstenliebe, Sklaverei und Unterdrückung… Das heißt, wird Paulus sie bekehren, hat das nicht nur Folgen für den Sonntag Vormittag… Lässt sie sich taufen, so steht sie auch in der aktuellen Diskussion um eine faire Welt mitten drin!

Aber die Geschichte geht ja weiter: Ein Mann taucht im Traum des Paulus auf: Hilf uns, komm herüber, so sagt er… Eigentümlicherweise begegnet uns dieser Mann in Philippi nicht wieder, obwohl er die Reise ausgelöst hat. Wer war der Mann?

Die Frage wird nicht beantwortet: Aber immerhin: Fragen, jede Menge, werden damit ausgelöst: sie gipfeln in einer unbequemen Feststellung: je weniger da ist, umso mehr Arbeit gehört hinein. Komm herüber und hilf uns…

Wir fahren mit unseren Konfirmanden zur Rüstzeit in die sächs. Schweiz. Die rechtsextreme Szene hat dort große Anhänger. Und die Kirche ist klein. Verschwindend klein. Dort gibt es weniger Gemeinde, dort sind Gemeinden nicht ein Ort, sondern eine Gegend… Wir legen Stellen zusammen, ein Pfarrer hat 5/6 Kirchen…

Les ich die Geschichte recht, so heißt es eigentlich:; Je weniger da ist, umso mehr ist zu tun. …sollte man in der künftigen Stellenplanung durchaus mal berücksichtigen!

Aber die Geschichte geht noch weiter: Gottesfürchtige Frauen, so steht da: Das waren nach neutestamentlicher Sicht Sympathisanten des jüdischen Glaubens: Sie gehörten nicht dazu, aber sie standen am Rand und meinten: Es muss schon was geben, es gibt schon was… Irgendetwas gibt es schon…!

Ich mutmaße, 80% der Deutschen denken so: Es gibt schon was, es gibt schon so was wie ein Leben nach dem Tod…, Brüder, überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen…

Aber gottesfürchtig ist noch lange nicht gläubig. Im Frühjahr biete ich wieder einen Glaubenskurs an für alle, die sich mit der Frage mal völlig unverbindlich auseinandersetzen möchten… Ich denke, dass die Dunkelziffer der Interessenten wesentlich höher liegt als die Zahl der Interessenten, die dann auch wirklich kommen… Das war früher nicht anders als heut!

Und schließlich: Paulus predigt am Fluss den Frauen, die dort sind, vermutlich, um Wäsche zu waschen oder um den Austausch zu haben, nicht mal unbedingt, um zu arbeiten, sondern um reden zu können: Gingen die Männer ins Thermalbad oder in die Sauna, waren die Frauen halt am Fluss.

Allerdings, und das können wir hoffentlich nicht nachempfinden, war es unter der Würde eines Mannes, mit Frauen auf gleicher Ebene zu reden. Bei der letzten Wahl zur Landessynode – das demokratische Leitungsgremium unserer Kirche – machte eine Initiative lautstark auf sich aufmerksam: Frauen in die Synode, so hieß sie – ein Zeugnis für die Quotenfrage und Zeichen dafür, dass diese Frauen, die dazu aufforderten, selbst innerlich von dieser Ebene weit entfernt sind:

Für einen jüdischen Gottesdienst waren zehn Männer nötig, sonst konnte er nicht stattfinden, ungeachtet der 500 vorhandenen Frauen… Hier ist außer den Leuten des Paulus kein Mann – und Paulus bricht mit der Etikette seiner Zeit total. Das war eine kleine Revolution – und die Zeitungen werden sich darauf gestürzt haben.

Und so geht es auch weiter: Lydia fordert Paulus auf, sie als gleichberechtigte Christin ernst zu nehmen – nach jüdischen Recht bis heute übrigens ein Unding. Und Paulus geht darauf ein.

Und Lydia bietet ihm Quartier an, das heißt: der Gastgeber steht über dem Gast, auch wenn er ihm dient. Und Paulus nimmt an. Er bricht in ein paar Zeilen Bibeltext drei Tabus, wo eins schon ausreichend wäre, ihn aus der Stadt mit Prügeln zu vertreiben.

Ein geistliches kommt noch dazu: Paulus geht darauf ein, wie Jesus auf den Zollinspektor eingegangen ist, um einen Menschen zu einem neuen ganz anderen Leben zu verhelfen.

Schlicht gesagt: Hier wird vorgeführt, wie nicht die Etikette zählt, nicht das Geschlecht, die Quote, der Stand, sondern die Persönlichkeit. Und Lydia gewinnt ihre Persönlichkeit nicht durch ihr Vermögen, ihre Stellung, sondern durch den Glauben. Und dieser Glaube verändert ihr Leben:

Daraus abgeleitet ein paar seelsorgerliche Sätze:

These 1: Es geht um dich. Bei der Taufe sprechen wir den Vornamen: Persönlicher kannst du nicht angesprochen werden.

In einer Zeit, in der es vor allem um Maßeinheiten geht, um Mengen, um Zahlen von Opfern oder Betroffenen, um Minderheiten, auf die man keine Rücksicht nehmen kann… In einer Zeit, in der der Einzelne so wenig zählt, legt wirklicher christlicher Glaube auf den Einzelnen wert.

„Da kommen nur alte Leute“, sagt mancher abfällig. Was haben sie gegen alte Leute, frage ich… Ein Chef einer großen Firma sitzt noch mal als alter Mann in seinem Büro. Und hört, wie draußen einer sagt: Dort sitzt nur irgendein alter Mann drin…

Und im Pflegeheim sagt man ganz schnell Na Oma zur alten Dame… und fühlt sich ja so überlegen…

Was ich von den Altgewordenen gesagt habe, könnte ich in gleicher Weise von den jungen Leuten sagen: Was steckt dahinter, wenn einer vom jungen Spund redet, welche unglaubliche Arroganz verbirgt sich dahinter: Komm du erst mal in mein Alter, wird erst mal trocken hinter den Ohren…

Was verbirgt sich dahinter, wenn jemand Schwiegermütterwitze erzählt oder von den Opelfahrern spricht…, von den BMW-Fahrern, was steckt dahinter… Wir klassifizieren…

Wirst du so eingeschätzt, tut es weh… Du bist eben Berufsanfänger, du bist eben nur eine Frau, du bist eben nur was auch immer…

Ich gestehe ein, es ist mitunter schwer, sich dem andern zu stellen: Der andere ist immer der andere, selbst wenn du ein halbes Jahrhundert verheiratet bist, ist der Partner manchmal erstaunlich fremd…

Paulus setzt sich über Vorurteile weg, er predigt dem Menschen, und er nimmt den Menschen, so anders er auch mitunter sein kann, als Persönlichkeit wahr und ernst. Mancher unter uns in unserer Gesellschaft kann nie etwas werden, weil er nie die Chance bekommt, etwas zu sein:

Vor Gott bist du wer, du bist von ihm wertgeachtet. Nimm das ernst. Und lerne, dich selber ernst zu nehmen. Weil Gott dich ernst nimmt, brauchst du nicht gering von dir zu denken! Es geht um dich.

Die zweit e These: bedingungslos geht es um dich. Ich muss schon ein wenig über die Lydia lächeln. Sie hört Paulus zu – und es dauert keinen Moment, packt sie ihn beim Wort. Du hast mir gesagt, dass Gott mich achtet, mich annimmt, nun zeig mir auch, dass du mich annimmst: Wenn du es glaubst, was du sagst, dann mach es an mir auch wahr.

Ich finde es großartig. Und ich finde es genauso großartig, wie Paulus die Konsequenz lebt. Er geht darauf ein, er nimmt sie ernst. Er muss gewusst haben, wie man ihn dafür hassen wird.

Was sind eigentlich heut Hinderungsgründe, jemanden ernst zu nehmen… Sieht man das Angebot der Illustrierten, so staun ich immer, wie man Anteil nimmt an irgendwelchen Königshausgeschichten… Darüber kann ich lächeln.

Viel makabrer, wie man sich amüsiert über das Elend, die Scheidung, den Ehebruch im Fernsehprogramm – du amüsierst dich nicht mehr, wo es dich selber trifft.

Und bei weitem noch makabrer, wie man übereinander redet – Paulus kann die Vorgeschichte der Lydia nicht kennen, er stellt auch keine Erkundigungen an, er nimmt sie an und nimmt sie beim Wort. Das genügt.

These 3: Es geht durchaus um die persönliche Beziehung. …um ein verbindliches Leben mit deiner Geschichte.

Ich denke an eine Stellendiskussion. Und einer erklärt: Ich kann die Pfarrstelle nicht wechseln, denn es gibt hier Leute, die brauchen mich. Die andern kontern: Auch dort wird es Leute geben, die dich brauchen…

…heißt: du bist austauschbar. Ich denke, es kommt nicht auf den Pfarrer an, sondern aufs Wort Gottes. Aber du kannst dennoch Menschen nicht einfach austauschen. Es muss Vertrauen wachsen, es werden Erwartungen da sein. Und jeder von uns ist geprägt.

Wer eine persönliche Enttäuschung hinter sich hat, ist dadurch gezeichnet. Begegnung unter Menschen hinterlässt zweifelsohne tiefe Spuren. Sieh dirs im Schnee, den es gerade nicht gibt, an: Du siehst ein unberührtes Feld vor dir – oder du siehst, wie Kinder darin gerannt sind: Die Spuren sind nicht zu übersehen…

Der Glaube lebt aus persönlichen Beziehungen. Für mich, meinen Glauben waren durchaus Begegnungen mit Menschen wichtig, haben mich geformt… Paulus wird die Stadt wieder verlassen müssen. Und es dauert gar nicht lang…

Und Lydia wird Jahre danach noch davon zehren und wird sich erinnern: Er hat mir den Weg zum Glauben gebahnt. Sie wird nicht an Paulus glauben, aber es hat sie geprägt…

Liebe Gemeinde, dahinter steht: Ich seh den Auftrag, den wir aneinander haben, als etwas ganz wichtiges an: Eltern, Paten, Nachbarn…, wir als Gemeinde… Und ich weiß genauso gut, wie Enttäuschungen mitunter den Weg zum Glauben auch verbauen können… Dass wir nicht nur über den Glauben reden, sondern ihn eben auch miteinander leben:

Nicht als unfehlbare Götter, sondern als Menschen, die einander vermitteln, wie wichtig es ist, füreinander zu beten, einander zu vergeben, aneinander festzuhalten, einander zu begleiten, füreinander da zu sein…

Und schließlich These 4 am Schluss: Für Paulus war es konkret, für uns alle nicht minder! Glaube ist kein hehres Gefühl für die Magengegend, sondern will ganz konkret und ganz fröhlich gelebt sein: nicht nur am Sonntag Vormittag, sondern 7 Tage die Woche 24 Stunden…: Wir werden einander brauche n und wir werden aufeinander bauen können: als seine Gemeinde,

als Gemeinde Jesu Christi. Amen.