Estomihi Jesaja 58, 1-9
Bestimmt könnte ich wieder mal ein richtig gut passendes Bonhoeffer-Wort zitieren. Wir hätten gezeigt, wir haben Jesaja verstanden, und können dann zum Sonntag übergehen.
Ich frage mich, wen er auf der Zielscheibe hat, wen er ärgern will. Und fühl mich vorsichtshalber erst einmal angegriffen. Ich geh in Verteidigung, und Angriff ist die beste Verteidigung: wer bist du überhaupt…
Oder ich fühle mich nicht angegriffen: Ha, Jesaja, hinter dem Busch sitz ich nicht…
Oder ich schieß ein bisschen mit: Ja, wie ist das doch mit dem Mainzer Bischof… Nicht wahr, da lässt sich doch trefflich schimpfen. Oder ich schreib an die Freie Presse, wie jener Herr wegen der Erhöhung der Friedhofsgebühren…: statt 1,41€ gleich 2 Euro im Monat…
Vielleicht liegt die Schwierigkeit aber wo ganz anders: Sagen wir mal: in einer persönlichen permanenten Verunsicherung, die mich dazu bringt, alles infrage zu stellen, mich angegriffen zu fühlen, weil ich mich selber infrage gestellt sehe… Ich schieße um mich, weil ich mich bedroht fühle, weil mir alles zu viel wird, weil ich die Fähigkeit verloren habe, mich zu freuen, mich noch freuen zu können…
Und schon kann ich viele Wahrheiten sagen: Die Konfirmanden müssen eben in den Gottesdienst gehen. Und die Lieder sind eben alt. Und die Kinder müssen eben die Stunde aushalten… Und alles ist von einem tiefen Seufzen begleitet.
Was ist eigentlich los? Müssen die Kinder still halten – oder ist es toll, dass sie mitkönnen? Müssen die Konfis in den Gottesdienst, oder macht die Familie ein fest daraus, frühstückt schön gemeinsam, um dann gemeinsam mal raus zu sein…
Geht es Jesaja gar nicht um den Form, sondern um den Inhalt… Greift er gar nicht den Gottesdienst an, sondern die, die ihn halbherzig und zugleich perfekt tun… Dass zwar alles stimmt, das Herz aber nur so dabei ist, wie man eben eine Pflicht tut…
Wir haben über die Kirche in der Konfirüstzeit diskutiert… Man kann sich trefflich darüber streiten. Aber ich streite mich doch nur um das, was nun mal wichtig ist! Streit ist nicht schlimm. Langeweile ist schlimm. Dass es dich nichts angeht ist schlimm…
Und schon tönt, der zweite Gedanke, Jesaja mitten hinein: Mit Posaunen, so steht da… Das war nicht ein netter Posaunenchor, der jeden Mittwoch zur Probe kommt und Harmonien sucht. Das war ein schlimmer Krach, das ging aufs Trommelfell und tat weh…
Das war ein Kriegsinstrument, mit dem man den Feind eingeschüchtert hat. Wie die Orgel ihre Vorfahren als Kriegsinstrument hatte… Da war die Ruhe hin, da ging der Puls auf 180 und dir sind alle deine Schwächen eingefallen…
Jesaja scheut sich nicht vor so einem Posaunenstoß. Erhebe deine Stimme wie eine Posaunen, rufe…! Nüchtern bemerkt, es geht um den Mut, anderes zu sagen, anderes als das, was man allgemein sagt…
Es geht nicht darum, dass man nur anderes sagt – als Protest, als Opposition. Das kann so geistlos sein. Aber es geht darum, dass man anspricht, was sich eingeschlichen hat: dass man zur Sprache bringt, was dran ist: Jesaja war kein Tempelkritiker, um es deutlich zu sagen: Ihm ging es nicht darum, den Tempel madig zu machen.
Aber er war ein deutlicher Kritiker an dem, was nicht gesagt wurde, an dem, was nicht getan wurde, an dem, wo man geschwiegen hat…:
Dass du nur noch Liturgie singst, um Liturgie zu singen, nur noch Gottesdienst feierst, um Gottesdienst zu feiern, nur noch dich versammelst, damit du dich versammelst…: Es ging ihm darum, dass angesprochen wird, was dran ist:
Wir haben wieder mal Wahl dieses Jahr: Was ist dran: dass sich Leute aufstellen lassen, die einen neuen Titel für ihr Türschild suchen, oder die ansprechen, was anliegt…
Haben wir nichts zu sagen? Früher hat man uns immer gesagt: Mischt euch nicht ein, ihr könnt ja euren Gottesdienst feiern, aber bitte schön unpolitisch. Wir haben uns mit Erfolg dagegen verwahrt. Kirche ist immer Kirche von Menschen. Und Menschen wollen sich wiederfinden.
Das größte Kompliment, das mir einer nach einem Gottesdienst machen kann, ist, wenn er sagt: Ich bin vorgekommen. Ich hab mich wiedergefunden. Ich bin angesprochen worden, es geht mich an…
Dass ich weiß: Gott stellt mich in dieses Leben hinein, und was er mir sagt, das sagt er mir für dieses Leben, damit ich jenes eines Tages gewinne. Dass wir mit den Konfirmanden zur Rüstzeit fahren ist nicht, dass wir sonst nichts zu tun hätten, sondern ist, dass wir geistliche Gemeinschaft einüben, einüben, einander zu tragen…
Und was ich in den schweren Jahren in Kirchberg geschätzt habe, war immer, dass ich in einer geistlichen Gemeinschaft leben konnte.
Und wo Jesus handelt, ist es immer ein Handeln im Plural: der größte Fluch ist, allein zu sein, einsam, unverstanden… Ich nehm den Ball auf:
Unser großes Thema hier in unserm Land ist nicht der Hunger nach der Brot, sondern ist wohl die Missachtung, dass der Mensch mehr ist als nur ein voller Futterkorb. Man muss heut alles haben:
Man muss Recht haben. Man muss Luxus haben. Man muss Zeit haben. Es ist alles an mir auszurichten.
Ich frage nicht nach dem ungeborenen Leben, sondern danach, ob es mir in den Kalender passt. Ich frage nicht nach dem Kind, das ich für mich brauche, sondern danach, welche Neigung ich habe. Ich faste sogar, aber nicht um Gottes willen, sondern um meine Figur irgendwie wieder hinzukriegen…
Und mitunter frag ich verzweifelt: Was soll ich noch tun, ich tu doch schon alles…
Alles? – aber ich habe so viel, dass ich nichts habe… Ich steh mir selbst im Weg.
Glaube an Gott führt in die Gemeinschaft der Gläubigen – und fragt nach guter geistlicher Gemeinschaft. Dort liegt der Schwerpunkt. Und geistliche Gemeinschaft geht nur mit dem Menschen.
Communio sanctorum, so hat man es schon seit Jahrtausenden genannt: Die Gemeinschaft der Heiligen, derer, die gläubig sind: das ist unser großer Schatz.
Und was so groß und vielleicht ein bisschen fern klingt: es heißt dann in die schlichte einfache Sprache übersetzt:
Hast du jemanden, bei dem du mal klingeln kannst, der dir mal zuhört, der mit dir und für dich betet, dem du zuhörst, wenn er ins Konzept redet und du lässt ihn auch mal was Falsches sagen, ohne gleich zu widersprechen… Und hast du jemanden oder bist selbst für andere so ein jemand, der sich nicht zufrieden gibt mit schlechten Lösungen, der mit leidet und sich mit freut…
Wissen sie, was mir immer am schwersten ist: wenn ich jemandem richtig geholfen hat – und dann, irgendwann geht es ihm wieder gut – und dann kann er so gemein sein zu mir, und ich frage mich: Verträgst du es, dass ich dich mal schwach gesehen hab. Und genau diese Frage möchte ich mir gern wieder und wieder stellen: Das ist geistliche Gemeinschaft, in der wir es uns leisten können, auch mal schwach zu sein und uns dafür nicht zu schämen.
Es gibt in der ordinären Sprache solche Einstufungen: der dürre Kerl, die feiste Ziege, der Schwächling, die Tussi… Meine Konfirmanden kennen aktuellere Begriffe, wie ich festgestellt habe…
Und wenn einer aus dem allgemeinen Moderaster heraus fällt und anders ist als andere; sind wir nicht alle, jeder für sich, andere als andere?! Dass wir einander tragen?
Und bei der Vorstellung der Konfirmanden: dass ich plötzlich eckig laufe oder stolpere, nicht auszudenken, was werden die andern sagen…
Ein Brautpaar, das mir erklärt: Wir möchten, dass uns bei der Trauung keiner von vorn sehen kann, die Stühle bitte alle weiter hinter… Wie weit lässt du andere an dich heran? Was verbirgst du selbst vor Vertrauten?
Ist es nicht dran, die Stimme zu erheben, wie Jesaja schreibt, dass gesagt werden kann, was uns gut tut, dass zur Sprache kommt, was uns trennt, dass vor Gott gebetet wird, was uns auf der Seele oder im Herzen und schließlich auch im Magen liegt…
Und damit bin ich die ganze Zeit schon im dritten Gedanken drin: dass ich dort bete, wo Gott ist. Wo ist eigentlich Gott? Nicht dort, wo der Gottesdienst zum Selbstzweck wird – sondern dort, wo man Herr erbarme dich singt, weil man Herr erbarme dich meint. Und wo man Ehre sei dem Vater singt, weil man genau das auch meint:
Darum das vierte: Jesaja spricht den Tempelkult an, die billigen Heilspropheten, die genau das sagen, was die Herrscher wollen: Wes Brot ich ess, des Lied ich pfeif…
Das alte Testament wird immer mit dem Gesetz gleich gesetzt und gegen das Neue Testament gestellt, das ja die Freiheit predigt.
Das stimmt nur bedingt. Was Jesaja will ist nicht das unerbittliche Du sollst oder sollst nicht. Jesaja hat einen anderen Ansatz:
Gott hat dir einen guten Weg gegeben. Auf dem guten Weg kannst du gut leben. Verlass doch diesen Weg nicht. Jesaja zweifelt nicht die Ernsthaftigkeit an. Er zweifelt auch nicht am guten Willen. Aber er erfragt den Weg: Bist du auf dem Weg, der der richtige Weg ist…
Jesus selbst führt das zweifelsohne weiter: Die Pharisäer und Schriftgelehrten kommen im Neuen Testament schlecht weg. Er kritisiert nie ihre Ernsthaftigkeit, aber er stellt ihr Anliegen infrage: Wo der Kult zum Selbstzweck wird, wo der Gottesdienst am Menschen vorbei geht, dort geht es nicht mehr um Gottes Willen.
Du kannst arbeiten bis zur Erschöpfung, aber trotzdem das Falsche tun. Was soll ich denn noch tun, fragt mancher voller wütender Verzweiflung: Nein, nicht noch mehr, sondern anders…:
Was Liebe bewirkt, Nächstenliebe, die keine Gefahr scheut, was danach fragt, wie Menschen wieder ein gutes Fundament finden können, wieder erleichtert und frohe Zuversicht leben können, das ist Gottesdienst: der die Angst vor dem Morgen nimmt, weil ich morgen genauso in Gottes Hand bin…
Und ein fünfter Gedanke: Es steht ohne Zweifel, dass das Böse, das ich tue, mich auch selber böse macht. Die Hemmschwelle ist immer tiefer gesunken. Was Menschen einander antun können, kennt fast keine Untergrenze mehr.
Der Gedanke reizt mich: Wenn uns das Böse so sehr zum Bösen verändern kann, um wieviel mehr wird es das Gute erst tun: Hast du das wirklich noch nicht erlebt, dass du selbst über dem Trösten eines Menschen getrost wirst, über dem Sitzen über einem Bibeltext zuversichtlich wirst… Dass dich eine Fürbitte selbst zur Ruhe bringt…, dass ein Gottesdienst, in dem du bist, dir Kraft gibt für den nächsten Weg…
Mit dem Heil, das du selber tust, wirst du selbst ein Stück heil. Und wo du mal alles weglegen kannst, ja, wo du mal alles andere weglegen musst, wo selber leer bist und nichts mehr hast und weißt, manchmal, dass du genau das brauchst, um Gottes Wort ganz neu und ganz anders zu erfahren.
Jesaja spricht Klartext: es ist ein durch und durch starker Text, der dich packt und nicht los lässt, der nicht nur zärtlich mit dir umgeht, dich nicht umschmeichelt wie ein – wie nennt man das heut – ein Handschmeichler: Ja, da gibt es wunderbar geschmeidige Steine, Delphine aus Holz, die sich so wunderbar umfassen lassen, gar schmeichlerische Kreuze, die dir so richtig wohl tun.
Ich weiß nicht, ob ein Kreuz einen wirklich umschmeichelt… Jesaja jedenfalls schmeichelt nicht. Aber er tut mir gut: Er spricht mich an, er meint mich, und ich denke nach: Ist es nicht einfach gut, was er sagt: weil es doch ums Heil geht, ums Leben in Gott in Ewigkeit. Amen.