Der Freitag vor dem 3.Advent

O du fröhliche – Ein Fest der Familie

„O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit“ – diese Worte erklingen jedes Jahr an Heiligabend bei den Menschen, die einen Weihnachtsgottes-dienst besuchen oder zu Hause noch am Christbaum singen. Ja genau! Das ist der Moment, in dem Oma und Opa da sind und das Enkelkind Klavier oder Flöte spielen muss und 15 Jahre später noch beim Therapeuten genau die gemischten Gefühle dabei beschreiben kann. Aber das ist ein anderes Thema.

            Irgendwie tun diese Weihnachtslieder gut. Wenn sie erklingen, werden die weihnachtlichen Gefühle in uns geweckt, nach denen sich die meisten von uns auch sehnen. Wenn wir ehrlich sind, sehnen wir uns nicht nur an Weihnachten an diese Gefühle. Wir können es lieben oder hassen, aber an Weihnachten sind Menschen freundlich, sie sonst fast immer schlechte Laune haben. An Weihnachten grüßen Menschen einander, die sonst unbeachtet aneinander vorbeigehen. An Weihnachten lachen Menschen, die sonst zum Lachen in den Keller gehen.

Weihnachten macht etwas mit uns. Weihnachten erinnert uns daran, dass es besser sein kann als es ist. Dass wir uns an vieles im Leben gewöhnt haben, weil wir uns daran gewöhnen mussten.  Aber dass es eigentlich nicht das ist, wonach wir uns im Leben gesehnt haben. Und genau darum sind die weihnachtlichen Stimmungen für viele Menschen auch so ambivalent und anstrengend. Und genau darum reisen über Weihnachten auch so viele an Orte, an denen es keinen Schnee, keinen Weihnachtsbaum und keine Weihnachtslieder gibt – zum Beispiel in die Karibik oder nach Australien. Natürlich ist auch an Weihnachten nicht alles Gold was glänzt. Bei keiner Familie und bei keinem Menschen. Auch nicht bei denen, die die 3 Verse von „O du fröhliche“ auswendig trällern können. Auch wenn das Lametta am Weihnachts-baum glitzert, bedeutet das nicht automatisch, dass es auch im Herzen der einzelnen Menschen eine fröhliche, selige und gnadenbringende – eben eine glänzende Zeit ist.

Paradoxerweise können wir uns gerade am Fest der Liebe und der Familie besonders allein fühlen. Kenne Sie den allgemein gefeierten Werbeclip von Edeka aus dem Jahr 2015 unter dem Titel „#heimkommen“? Ein liebenswerter Großvater muss das Christfest wie die Jahre davor allein verbringen, weil alle Kinder und Enkel keine Zeit haben. Einsam vor seinem Weihnachtsfestessen sitzend, heckt er einen Plan aus. Er schreibt an alle seine Kinder Briefe mit seiner eigenen Todesanzeige und lädt aus diesem Anlass alle zu einem Familientreffen ein. Erschüttert lassen die Kinder mit ihren Familien alles stehen und liegen und fahren zur Wohnung des Großvaters. Und was sehen sie da? Eine festlich gedeckte Tafel, als hätte jemand auf sie gewartet. Und tatsächlich kommt auch schon der gute Opa mit der Entschuldi-gung um die Ecke, er wolle doch nur alle einmal wieder zusammenbringen – und es gibt ein fröhliches Wiedersehen! Weihnachtsgeschichten wie diese gibt es nicht ohne Grund in tausend Varianten. Sie berühren uns tief in der Seele. Sie tun gut und zeigen uns, was wirklich wichtig ist. Das letztlich doch so Fröhliche und Selige an Weihnachten geht zu Herzen. Aber schauen wie uns doch einmal die Entstehungs-geschichte des bekannten Weihnachtsliedes an, mit dem wir das Kapitel begonnen haben. Was hat den Schreiber eigentlich so fröhlich gestimmt?

Aus der Tragödie

„O du fröhliche“ ist wohl eines der bekanntesten deutschsprachigen Weihnachtslieder und stammt aus der Feder von Johannes Daniel Falk, der von 1768 bis 1826 lebte. Er selbst wurde in arme Verhältnisse hineingeboren. Mit erst zehn Jahren wurde er aus der Schule genommen und in die Perückenwerkstatt seines Vaters gesetzt, um ein – wenn auch nicht gerade begeisterter – Perückenmacher zu werden. Gesponsert durch den Stadtvater von Danzig wurde ihm schließlich doch der Besuch eines Gymnasiums ermöglicht, und er durfte sich am Ende sogar als der beste Absolvent seines Jahrgangs bezeichnen. Dieser Abschluss ermöglichte es ihm zu studieren. Als er Danzig für sein Theologiestudiums 1791 in Halle/Saale verließ, gab ihm jener Stadtvater von Danzig folgende Worte mit auf den Weg, die sein Leben entscheidend prägen sollten: „ Wenn ein armes Kind an deine Tür klopft, vergiss nie, dass du selbst ein armer Junge warst.“ Mit diesem Versprechen zog er von zu Hause fort.

            1815 war der Krieg gegen Napoleon zu Ende. Der Krieg hinterließ schwere soziale Folgen: viel Krankheit, viel Tod und vor allem viele heimatlos gewordene, bettelnde und stehlende Kinder. Gleichzeitig traf Johannes Daniel Falk persönlich ein harter Schicksalsschlag: Der inzwischen verheiratete Familienvater verlor vier eigene Kinder an Typhus und erkrankte auch selber schwer. Doch er überlebte. Nach über- standener Seuche erinnerte er sich an die Worte des Stadtvaters und sein Versprechen in Danzig. Er verspürte den Ruf, für die vielen Kriegswaisen zu sorgen. Dies brachte ihn dazu, um die dreißig Kinder in seine eigene Wohnung aufzunehmen und die „Gesellschaft für Freunde in Not“ zu gründen. Die Zahl der Kinder stieg aber schnell an bis auf knapp fünfhundert Kinder! So errichtete er schließlich ein Rettungshaus. Dieses wuchs stetig, bis es sogar eine Schule sowie eine Nähschule für Mädchen umfasste, das zum Vorbild für das heutige „Rauhe Haus“ in Hamburg wurde, eine 1833 gegründete Stiftung der Diakonie.

            Als wäre die Tragödie um den Verlust seiner ersten vier Kinder nicht groß genug, traf ihn der nächste Schlag: Weitere zwei seiner eigenen Kinder starben. Eines sagte ihm noch kurz vor seinem Ableben: „Vater, Gott holt uns alle zu sich nach Hause, damit ihr Platz für die fremden Kinder habt.“ Und spätestens jetzt wird uns klar, dass dieser Mann nicht unter einer Käseglocke lebte, sondern ihm das Leben sehr hart zugesetzt hat. Man hätte verstehen können, wenn er an Gott gezweifelt hätte und ganz andere Lieder aus seiner Feder gekommen wären als „O du fröhliche“. Er aber klammerte sich auch in der größten Not an sein Versprechen und die Vision. Vermutlich war dies der Grund, warum er so bekannt war für seine gewaltfreie Pädagogik, die sich stark von dem zeitgenössischen Umgang mit (Waisen-) Kindern unterschied. Weiter noch, 1816 überraschte er zu Weihnachten alle Waisenkinder mit einem neuen Lied zur Melodie eines italienischen Schifferlieds. Ursprünglich schrieb er es für die drei Hauptfeste des Kirchenjahres: Weihnachten, Ostern und Pfingsten. Jede Strophe begann mit den Worten „O du fröhliche“ und schloss daran die Benennung der Festzeit an („ O du fröhliche Weihnachtszeit, Osterzeit, Pfingstenzeit). Erst später wurde das Lied ein reines Weihnachtslied in der Form, wie wir es heute kennen.

Am Kühlschrank bedienen

Falk war innerlich gepackt von der Not der leidvollen Nachkriegszeit. Stellen wir uns ein Kind vor, das von Vater und Mutter verlassen durch die Straßen streunt und ganz auf sich gestellt versucht, das Leben zu bestreiten. In dieser Situation von jemanden beachtet und gesehen zu werden – ist das nicht auch oft unser Wunsch an einem Familienfest? Kennen Sie vielleicht auch die oft gut kaschierte Sorge, zu kurz zu kommen? Und obwohl wir im wohligen Wohnzimmer sitzen, ist da ab und zu eine innere ungestillte Sehnsucht nach … ja wonach eigentlich? Mit solchen Gedanken was Falk also ebenfalls vertraut. Wie kam er dazu, solch ein fröhliches Lied zu schreiben trotz der äußeren Umstände? Und zudem jede Strophe mit „ Freue dich, o Christenheit“ enden zu lassen?

            Schauen wir uns nochmals die Rolle von Falk an, in die er hineinschlüpfte: nämlich die eines Vaters für zahllose Waisenkinder. Woher brachte er die innere Stärke und die Kraft dafür auf? Für so etwas brauchte er gute Vorbilder. Sicherlich trug sein eigener Vater etwas dazu bei, denn Väter können Söhne nicht nur durch das motivieren, was sie geben können, sondern auch durch das, was sie schmerzlich vermissen lassen. Auch der Stadtvater von Danzig, in gewisser Weise vielleicht ein „Ersatzvater“, hatte einen Anteil daran. Schließlich erlebte er in dessen Worten seinen Ruf, seine Berufung. Aber letztlich suchte und fand Johannes Falk dieses Vorbild in seinem Gott. Gott prägte sein Leben von Kindheit an. Diesen Gott hatte er selbst als Vater erlebt und seine Barmherzigkeit und Gnade hatten sein Herz geformt (vgl. 1. Korinther 8,6). Wie ein Kinder, das sich im eigenen Elternhaus wohlig und sorglos fühlt, sich ohne zu überlegen am Kühlschrank bedient, so wusste Falk, dass dieser göttliche Vater grundlegend gut ist und er sich voll Vertrauen an ihn wenden kann. Er kannte und liebte Gott als Vater, der sich nach seinen Kindern sehnt. Nach allen seinen Kindern: den wohlbehüteten Kindern und den Waisenkindern. Den wohlerzogenen Kindern und denen, die keinen Versorger und keinen Beschützer haben und darum auf ihre Art gelernt haben, durchs Leben zu kommen.

            Den Vater, der sich danach sehnt, dass jeder gerettet wird und die Wahrheit erkennt (1. Timotheus 2,4). Und diese Wahrheit ist einfach: Gott hat die Menschen lieb. So sehr, dass er „seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat“ (Johannes 3,16). Und jetzt sind wir wieder da, wo wir angefangen haben, bei Weihnachten. Johannes Falk hat durch sein vom Glauben an Gott geprägtes Leben vielen Waisenkindern geholfen, in dieser damals nicht einfachen Welt nicht verloren zu gehen, sondern im Leben Fuß zu fassen. Kinder, die keine Mutter und keinen Vater mehr hatten, fanden bei ihm ein neues Zuhause. Sie fühlten sich angenommen, weil sie aufgenommen und versorgt waren. Seine gewaltfreie Pädagogik trug zusätzlich zu dem liebevollen Erleben dieses Zuhauses bei. Die Kinder wussten sich geborgen und geliebt.

Ein Kind erhält durch die Adoptiveltern eine komplett neue Perspektive, völlig unab-hängig von seiner schwierigen Vergangenheit. Und genau dies ist der Wunsch des himmlischen Vaters, der eine Beziehung zu den Menschenkindern auf Erden sucht. In der Bibel findet sich die Aussage „Wenn selbst Vater und Mutter mich verlassen, wird doch der Herr mich aufnehmen“ (Psalm 27,10). Dies zeigt klar die Bereitschaft von Gott, sich wie ein guter Vater um uns zu kümmern.

Teil einer royalen Familie

In einem Buch von Max Lucado heißt es an einer Stelle:“ Es gibt ungeplante Schwangerschaften, aber keine ungeplanten Adoptionen.“ Wussten Sie, dass druch Weihnachten eine riesengroße (und geplante) Adoption durchgeführt wurde?

            Vielleicht haben Sie schon über den Nachnamen unseres Buchautors Oskar König nachgedacht, der als Pseudonym für die vielen Autoren des Buches steht? Wie wir oben schon geschrieben haben, ist Oskar König ohne seinen Nachnamen erst einmal nur Oskar. Ein Oskar, der Waise, Teil der Familie König. Das ist seine neue Identität. Er ist jetzt Oskar König! „Doch als der festgesetzte Zeitpunkt da war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt. Gott sandte ihn, um uns aus der Gefangenschaft des Gesetzes freizukaufen und als seine Kinder anzunehmen. (…) Jetzt seid ihr keine Diener mehr, sondern Kinder Gottes. Und als seinen Kindern gehört euch alles, was ihm gehört. Gott hat es so bestimmt“ (Galater 4,4-7).

            Damit ist gemeint, dass dieses Christkind für uns eine spezielle Art einer „Adoptionsurkunde“ ist, die uns die Chance gibt, Teil einer neuen, größeren und göttlichen Familie zu werden. Damit sind wir nicht mehr Waisen, sondern ein Teil der Familie König.