Der Samstag vor dem 2.Advent

Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas – Verstand bitte draußen lassen?

„Es war einmal ein Kaiser mit Namen Augustus…“ Na ja, fast. Im Original heißt es: „ Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde“ (Lukas 2,1; LUT). Diese ganze Weihnachtsge-schichteerinnert schon ein wenig an ein mit Symbolen aufgeladenes Märchen, das einem Jahr für Jahr vorgelesen oder vorgespielt wird. Selbst wer sonst nicht in die Kirche geht, kennt diesen Bibeltext wahrscheinlich trotzdem. Schließlich ist diese Geschichte Tradition und gehört zu einem Weihnachtsgottesdienst wie das Amen in der Kirche. Doch zurück zum Text: Der Mann, der diese Geschichte aufgeschrieben hat, erzählte eigentlich keine Märchen. Er nannte sich Lukas und war hauptberuflich nicht Autor, sondern Arzt (vgl. Kolosser 4,14). Dies erklärt wohl auch sein gründliches Vorgehen beim Verfassen von Texten, wie er gleich zu Beginn seines Evangeliums deutlich zum Ausdruck brachte: „Viele haben schon über die Ereignisse geschrieben, die bei uns geschehen sind. Dabei haben sie die Berichte der ersten Jünger zugrunde gelegt, die mit eigenen Augen gesehen haben, wie Gott seine Verheißungen erfüllt hat. Ich habe alle diese Berichte von Anfang an sorgfältig studiert und beschlossen, alles in geordneter Folge für dich aufzuzeichnen. Auf diese Weise kannst du dich von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen, in der du unterrichtet wurdest“ (Lukas 1,1-4)

            Lukas war sozusagen der Geschichtsschreiber der damaligen Zeit. „Viele haben schon erzählt“ – er aber forschte nach, befragte Augenzeugen, sichtete die Quellen und brachte Ordnung hinein. Begünstigt wurde seine Arbeit durch den bereits erwähnten Umstand, dass er als Arzt ein Mann mit hoher Bildung war einen deutliche größeren Wortschatz verfügte als die anderen Evangelisten und sich mit der römischen Rechtslage seiner Zeit bestens auskannte. Er setzte sich mit den Themen Reichtum und Armut auseinander und hielt insbesondere die Geschichten der ersten „christlichen“ Gemeinden (wie wir sie heute nennen) mit der Präzision eines Historikers fest. Der Historiker W.M. Ramsay, der zuvor vom Gegenteil überzeugt war, entdeckte aus verschiedenen historischen und archäologischen Untersuchungen, dass die Erzählungen von Lukas historisch korrekt sind. Lukas versuchte mit bestem Wissen und Gewissen das aufzuschreiben, was sich in seiner Welt zutrug. Das sollte uns bewusst sein, wenn wir heute seinen Bericht lesen.

Glaube und Verstand

Seine Weihnachtsgeschichte begann Lukas wie ein Geschichtsschreiber mit einer zeitlichen Einordnung: Kaiser Augustus und die Volkszählung. Für die Geschichte um das Baby in der Krippe ist das eigentlich gar nicht so wichtig, aber für Lukas war es entscheidend, einen Beleg für seine Glaubhaftigkeit zu geben. Was viele Menschen schon im Herzen geglaubt haben, versuchte er mit dem Verstand zu belegen. Zahlreiche Dichter und Denker bringen seit Jahrhunderten dieses Spannungsfeld zwischen Herz und Kopf zum Ausdruck. Zuletzt der deutsche Liedermachen Joris, der 2015 in seinem Lied „Herz über Kopf“ sang: „Das Herz sagt bleib, der Kopf schreit geh!“. Damit bringt er auch den Widerspruch des Glaubens auf den Punkt. Unser Herz möchte an das Gute und Schöne und Wahrhaftige glauben, aber unser Verstand schreit: Das gibt es nicht!

            Glauben ist offensichtlich nur dann möglich, wenn der Verstand ausgeschaltet wird. Als würde am Eingang zum paradiesischen Glauben an einen Gott, der eine wunderschöne Welt schafft und eine Beziehung zu den geliebten Menschen sucht, ein Schild stehen: „Verstand bitte drau0en lassen“ – ganz nach dem Motto: Wenn wir sachlich nachdenken, werden wir merken, dass alles nur eine schöne Erzählung ist. Die vielleicht Hoffnung spendet, solange wir bloß nichts hinterfragen. Und tatsächlich stimmt das sogar ein wenig. Es gibt beim christlichen Glauben einige Punkte, die mit Naturgesetzen nicht so einfach erklärbar sind, wie die Geschichten von Heilungen oder das Wein-aus-Wasser (bei der Hochzeit zu Kana in Johannes 2), ein sprechender Engel (vgl. 4.Mose 22,28) oder Auferstehungserzählungen (vgl. Johannes 11). M Grunde ist auch die Weihnachtsgeschichte voll mit solchen Situationen, in denen der Verstand von Menschen ehrausgefordert wurde (daher liegt wahrscheinlich die Märchen-Assoziation so nahe) und sie deshalb Gott vertrauen mussten: Maria sollte plötzlich ein Kind bekommen, ohne dass siezuvor mit- einem Mann das Bett geteilt hätte.

Josefs Verlobte war schwanger, und er wusste nicht warum, bis ein Engel ihm die ganze Situation erklärte. Die Hirten wurden von einer ebensolchen übernatürlichen Engelserscheinungen überrascht, die eine noch viel unglaublichere Botschaft überbrachte: „Der Retter – ja, Christus, der Herr – ist heute Nacht in Bethlehem, der Stadt Davids, geboren worden!“ (Lukas 2,11).Es wird von solchen Wundern berichtet, aber ein Schild mit der Aufschrift „Verstand draußen lassen“ gibt es bei Gott nicht. Glaube schließt Verstand nicht aus, sondern wird folgendermaßen beschrieben: „Was ist nun also der Glaube? Er ist das Vertrauen darauf, dass das, was wir hoffen, sich erfüllen wird und die Überzeugung, dass das, was man nicht sieht, existiert“ (Hebräer 11,1). Anders gesagt, der Glaube rechnet mit der Erfüllung dessen, was wir hoffen, ob sichtbar oder nicht.

Was zählt?

Wir denken oft: Glaube muss heißen, dass wir bei bestimmten Themen darüber streiten, wer recht hat oder unrecht. Was wahr ist oder unwahr. Was historisch ist und was nicht. Dabei gibt es eigentlich eine andere Priorität: „Wenn ich die Gabe der Prophetie hätte und wüsste alle Geheimnisse und hätte jede Erkenntnis und wenn ich einen Glauben hätte, der Berge versetzen könnte, aber keine Liebe hätte, so wäre ich nichts“ (1. Korinther 13,2).

            Anstatt darüber zu streiten: „Was ist richtig?“, fragen wir doch lieber: „Was ist wichtig?. Liebe ist wichtiger als Erkenntnis. Vergebung ist wichtiger, als auf dem eigenen Recht zu beharren. Genau genommen geht es um eine noch größere Dimension: Glauben heißt damit zu rechnen, dass sich unserer Hoffnung erfüllt. Dass Gott die Macht hat, unbeschreiblich Großes zu tun. Lassen Sie uns davon ausgehen, dass er weiterhin in den Lauf der Geschichte eingreift – ja, sogar in unser persönliches Leben. Das schließt jedoch nicht aus, seinen Intellekt zu verwenden! Gott hat Sie schließlich mit der Gabe geschaffen, etwas zu durchdenken und zu hinterfragen. Der Verstand sollte keineswegs ausgeschaltet, sondern ganz im Gegenteil aktiv verwendet werden.

            Nehmen Sie einmal an, dass alles um Sie herum nicht nur ein bloßer Zufallswurf ist, sondern ein größerer Plan dahintersteht. Dann ist die Welt ein Ort, in dem jedes Artefakt, das Sie sehen, jeder Mechanismus, jedes Detail, das Sie entdecken – ja, jedes Atom – ein Hinweis auf den ist, der ursprünglich diesen Plan hatte. Der wohl bekannteste Physiker und Nobelpreisträger, nämlich Albert Einstein selbst, brachte das sehr treffend auf den Punkt: „Jedem tiefen Naturforscher muss eine Art religiösen Gfühls naheliegen, weil er sich nicht vorstellen mag, dass die ungemein feinen Zusammenhänge, die er erschaut, von ihm zum ersten Mal gedacht werden.“ „Im unbegreiflichen Weltall offenbart sich eine grenzenlos überlegene Vernunft.“ Tatsächlich besteht erst für den, der fragt und forscht, die Möglichkeit, so tief zu verstehe, wie sorgfältig und großartig Gottes Wesen ist. Und das wiederum funktioniert nur mit voll eingeschaltetem Denkvermögen.

Glaube und Zweifel

Meist kommt der Glaube nicht allein, sondern wird von Zweifeln begleitet. Glaube kann nicht ausschließlich logisch hergeleitet oder bewiesen werden – jeder Versuch muss fehlschlagen. Deshalb sind Fragen und auch Zweifel berechtigt. Uns sollte mehr Sorgen bereiten, wenn Menschen Gott keine Fragen stellen wollen. Was ist, wenn unserer aufrichtigen Fragen und Zweifel Gott mehr ehren als unsere vorschnellen Antworten und schlauen Schlüsse?

            Jesus begegnete einmal einem Vater, dessen Sohn von einem sprachlosen Geist geplagt wurde. Der Vater sah, was der böse Geist im Sohn anrichtete, und war verzweifelt. Er sagte zu Jesus: „ Hab Erbarmen mit uns und hilf uns. Tu etwas, wenn du kannst“, worauf Jesus entgegnete: „Was soll das heißen, ‚Wenn ich kann‘? (…) Alles ist möglich für den, der glaubt!“. Und wissen Sie, was die Reaktion des Vaters war? Es heißt, er schrie: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ (vgl. Markus 9,14-29; LUT). Jesus kennt unser Herz. Ihm müssen wir nichts vorspielen, auch keinen überzeugten, starken Glauben. Stattdessen liebt er Ehrlichkeit, auch wenn wir ihn aufrichtig bitten, unserem Unglauben und Zweifeln, unseren ausweglosen Fragen und unserer Ratlosigkeit zu helfen.

            Deshalb: Nehme Sie nicht ungefiltert als gegeben an, sondern fühlen Sie sich frei zu prüfen und zu hinterfragen. Wer dem Zweifel standhält und Hoffnung behält, kann umso tiefere Erfahrungen mit Gott machen. Glaube muss nicht blind sein, sondern ist eher ein „Augen auf und durch“. Der Glaube ist eine Erfahrungssache. Wer nicht ausprobiert hat, kann nur schwer ein Urteil fällen. Also lassen Sie sich darauf ein – machen Sie ihre eigene Erfahrung!

            An dieser Stelle ein Vorschlag an Sie: Wie wäre es mit einem Deal mit Gott? An welchem Punkt im Glauben haben Sie das Gefühl, dass Ihr Verstand herausge-fordert wird? Bitten Sie ihn einfach darum: „Gott, gib mir eine Antwort auf meine Frage.“ Oder wenn Sie möchten, sprechen Sie das gleiche Gebet wie der verzweifelte Vater: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“