Andacht zur Jahreslosung

„Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“, steht über dem neuen Jahr als Losung. Damit setzt die Jahreslosung einen anderen Akzent als die des zuende gehenden Jahres. Keine Aufforderung, keine Handlungsanweisung steht im Zentrum, sondern eine Zusage. Ein anderer handelt. Verstärkt wird dieser Eindruck durch den Vergleich mit der Mutter – ein bemerkenswerter Zug biblischer Rede von Gott.

Das zuende gehende Jahr steht unter dem Zeichen tiefer Verunsicherung. Was ist das eigentlich, was gerade auf der Welt passiert? Wie wird es weitergehen? Was kommt als nächstes? Es sind alles keine neuen Fragen, das Leben hat sie immer gestellt, nur haben die vergangenen Monate sie in aller Deutlichkeit auf die Tagesordnung gebracht. Hinzu kommt dieses Gefühl der Ohnmacht. Erprobtes scheint zu versagen, die Karten werden neu gemischt.

„Ich will euch trösten“, sagt Gott. Dazu ist zunächst einmal anzumerken, dass uns hier unsere Übersetzung leicht auf eine falsche Spur führen kann. „Trösten“ klingt nach „vertrösten“, es sei nicht so schlimm, „Kopf hoch“, „sei stark“ und alle die Sprüche, die dazu ganz schnell bei der Hand sind. Und unter einem „Tröster“ gar verstehen viele Menschen im harmlosesten Fall den Schnuller des Säuglings, im schlimmsten Fall den Alkohol. Natürlich meint unsere Bibel nichts davon.

Einen Hinweis bietet der zweite Teil des Verses: „wie einen seine Mutter tröstet“. Das heißt erst einmal: Ein verunsichertes, beunruhigtes Kind soll ernstgenommen werden. Ich werde einem Kind die Angst nicht ausreden können, indem ich sie ignoriere, mich darüber lustig mache oder sage „Sei still!“ Die meisten Kinder haben ein gutes Gespür dafür, ob sie ernstgenommen werden oder nicht. Eine Mutter, die ihr Kind tröstet, tut das aus einer innigen Beziehung heraus. Dem Kind soll es gut gehen. Es kommt nicht darauf an, dass das Bild nach außen stimmt und das Kind „tapfer“ ist. Es soll auch nicht darum gehen, ein „pflegeleichtes“ Kind zu haben. Die Kunst der Beziehung zwischen Mutter und Kind liegt darin, das Kind ernstzunehmen und doch seine Ängste nicht einfach nur zu bestätigen, sondern einen Weg aus ihnen hinaus zu weisen. Das alles sagt sehr viel aus über die Art der Beziehung, die Gott zu den Menschen will und sucht.

Das 66. Kapitel des Jesajabuches bildet einen Schlussakord der besonderen Art. Es geht um die Sehnsucht der Menschen nach Gott. Wann kommt sie, die neue, gerechte Welt, die Gott verheißen hat? Es lag eine Sehnsucht in der Luft. In diese unerfüllte Sehnsucht hinein spricht Gott sein Wort vom Trost. Ja, so sagt er damit, ihr liegt ganz richtig, wenn ihr die Trostlosigkeit der Welt erkennt. Ich werde sie euch nicht ausreden. Ich werde euch nicht vertrösten. „Trösten“ im biblischen Sinn hat das Ziel, Druck von einem Menschen zu nehmen. So kann verhindert werden, dass ein Mensch erstarrt und die Enge des Herzens ihn erdrückt. Menschen, die unter Druck stehen, handeln unüberlegt, sind manipulierbar und stecken gar noch andere mit ihrer Angst an. Schon gar nicht sind sie zu weisen Entscheidungen in der Lage. Gott will uns Luft verschaffen, im ganz wörtlichen Sinn. Das ist die Luft, die wir brauchen, um den Weg zu gehen, den Gott uns weist. Laßt euch nicht irre machen, diese Botschaft verbindet sich mit der Rede vom Trost. In der neuen Aufgeregtheit unserer Zeit schafft Gott eine heilsame Unterbrechung. Das ist viel wert, viel mehr, als vielleicht auf den ersten Blick zu sehen ist. Heilsame Unterbrechungen sind eine Kunst, Frieden zu stiften.

So wünsche ich uns allen ein gesegnetes neues Jahr und tröstende Erfahrungen mit unserem Glauben.

 

Ihr

Pfarrer Lars Schimpke