Andacht Oktober

Wenn du nun gegessen hast und satt bist und schöne Häuser erbaust (…), dann hüte dich, dass dein Herz sich nicht überhebt und du den HERRN, deinen Gott, vergisst, der dich aus Ägyptenland geführt hat, aus der Knechtschaft (…) Du könntest sonst sagen in deinem Herzen: Meine Kräfte und meiner Hände Stärke haben mir diesen Reichtum gewonnen. Sondern gedenke an den HERRN, deinen Gott.

 

Die Bibel hat Weitblick. Das zeigt sie immer wieder bei ihren Geschichten. Manches klingt ganz modern, und ist doch zweieinhalb Jahrtausende alt. Ich habe einen Ausschnitt aus einer Geschichte ausgewählt, die gegen Ende der Wüstenwanderung erzählt wird. Sie ist als Predigtgrundlage im Entwurf der neuen Predigtreihen für das Erntedankfest vorgeschlagen. Kurz vor dem Einzug ins Verheißene Land spricht Gott hier eine Warnung aus. Was hier gesagt wird, erinnerte mich an: „Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein“. Diese Zeit habe ich zwar nicht mehr selber erlebt, aber ich bin nun einmal ein geschichtlich interessierter Mensch. Das ist nun auch schon wieder Vergangenheit. Die Überheblichkeit, die dahinter steht, ist aber noch da, heute mehr denn je. Der Überfluß verdeckt nur, wie abhängig wir von Gott sind. Kürzlich mußte ich lesen, daß sich die Fischbestände in den Weltmeeren in den vergangenen 40 Jahren halbiert haben. Macht nichts, das ist den meisten Medien noch nicht einmal eine Schlagzeile wert. Weiter wie bisher!

Die Bibel klingt an vielen Stellen auch deshalb so aktuell und modern, weil sie es schafft, allgemein menschliche Eigenschaften in ihren Geschichten zu beschreiben. So nüchtern und realistisch redet die Bibel. Das heißt in diesem Fall: Menschen vergessen schnell. So wertvoll es sein kann, den Augenblick zu schätzen, Gott warnt davor, zu viel und zu schnell zu vergessen. In einer schnellebigen Zeit wie der unseren ist diese Warnung vielleicht noch wichtiger als zu Zeiten des Alten Testaments. Aber immerhin steht sie schon dort. Vergeßt nicht, so sagt er, vergeßt nicht, aus welcher Quelle und von wessen Hand ihr euer Leben und eure Versorgung habt. Es sind eben nicht nur „Meine Kräfte und meiner Hände Stärke“, wie es selbst schon die Menschen in der biblischen Zeit sagten, kaum, daß sie dem Hunger entkommen waren.

Nun ist die Bibel aber auch nicht so pessimistisch, daß sie die Vergeßlichkeit der Menschen einfach zur Kenntnis nehmen würde – „Es ist nun mal so“. Genau das sagt die Bibel nicht, und das sagt Gott nicht. Nein, Gott spricht hier die Warnung aus, bevor dieser Fall eintritt. Noch sind die Israeliten in der Wüste, noch sind sie nicht im Verheißenen Land. Also spricht Gott die Warnung jetzt aus, bevor es zu spät ist. Damit unterscheidet er sich in wohltuender Weise von vielen Menschen, die hinterher alles besser gewußt haben wollen. Nein, Gott redet vorher. Das schafft den Menschen Zeit, die eigenen Wege zu überdenken und neu auszurichten. Damit verbindet sich für ihn die Hoffnung, gehört und ernstgenommen zu werden. Ja, Gott hat Hoffnung. Sie ist oft genug enttäuscht worden, aber schon die Tatsache, daß wir bis heute von seiner Botschaft reden, zeigt uns: Gott hat Hoffnung. Er hält fest an seiner Absicht, den Kontakt mit uns nicht abreißen zu lassen und ihn auch immer wieder aufzunehmen. Das ist seine Treue, und hier schließt sich der Kreis – auch das Erntedankfest ist eine Feier der Treue Gottes. Darum – laßt uns feiern, und laßt uns den Grund unseres Feierns nicht vergessen.

 

Ihr Pfarrer Lars Schimpke