Der Weihnachtsbaum – Warum wir den Tannenbaum aus dem Fenster werfen
Knut – die meisten von uns kennen ihn aus der Werbung, den legendären Tag, an dem der schwedischen Tradition nach Fußgänger besser in Deckung gehen sollten, da die ausgedienten Tannenbäume aus den Fenstern geworfen werden. So jedenfalls verkauft es uns ein großes schwedisches Möbelhaus. Obwohl die wenigsten ihren Weihnachtsbaum bereits am 04. Dezember kaufen, wissen wir schon vorher, dass er einige Zeit nach Weihnachten wieder ausgedient haben wird und wir knutmäßig entsorgen müssen. Die Strategie dahinter ist simpel: Wo der Tannenbaum nicht mehr steht, ist nun Platz für ein neues bestes Stück aus dem Winterschlussverkauf. Doch nicht seit Knut, sondern eigentlich erst seit Marie Kondo, die Anleitungen für richtiges „Platzschaffen“ gibt, ist Aufräumen zum Mega-Trend geworden. Marie Kondo ist die Ikone der Ordnung. Die erfolgreiche Japanerin ent-wickelte die Aufräummethode Konmari, die in Deutschland auch unter dem Begriff „Magic Cleaning“ bekannt ist, angelehnt an ihr Buch „ Magic Cleaning – Wie richtiges Aufräumen ihr Leben verändert“. Bisher veröffentlichte sie 3 Bücher, die in 27 Sprachen übersetzt wurden und weltweit über 7 Millionen Käufer fanden. Bei ihren Streifzügen durch die vielen hilfesuchenden Haushalte wird ein ungeahntes Ausmaß an der wenig ausgeprägten Fähigkeit offenbar, sich von Altem oder Überflüssigem zu trennen. Marie räumt den Planeten auf und unser Leben gleich mit.
Nicht zuletzt ihr durchschlagender Erfolg zeigt, wie gr0ß unserer Sehnsucht danach ist, Ordnung zu schaffen. In ihrer Kunst des Wegwerfens geht sie nach dem Prinzip vor, nur das zu behalten, was Freude bereitet, und sich von dem wert-schätzend zu verabschieden, was weder glücklich macht noch unbedingt notwendig ist. Vielleicht ist es auch ihre liebevolle Art, sich von mittlerweile nicht mehr froh machenden Dingen zu trennen, die ihre Fans an ihr schätzen. Schließlich hatte alles einmal seine Bewandtnis, gekauft oder als geschenkt angenommen zu werden.
Es gibt wohl kaum etwas in unserem Haushalt, mit dem wir wirklich nichts verbinden. Aber Zeiten ändern sich und manches verliert vielleicht im Laufe der Jahre seinen Zauber. Nicht zu allem können wir noch entschieden mit Ja antworten auf die Frage: „Does ist spark joy?“ (engl. für: „Bereitet es Freude?“) Marie Kondo stellt diese Frage jedem einzelnen Gegenstand, um zu entscheiden, welche Teile behalten und welche aussortiert werden. Damit hat Marie Kondo nicht das Rad neu erfunden. Ihr Ansatz erinnert uns an eine Aussage des Apostels Paulus, Autor vieler Briefe im Neuen Testament. Er riet den Lesern seiner Briefe bereits vor über 2000 Jahren: „Prüft alles (…) und behaltet das Gute“ (1.Thessalonicher 5,21)
Dieses Prinzio klingt eigentlich sehr einfach, doch paradoxerweise gehen wir Menschen oft genau umgekehrt vor: Wir schmeißen quasi den Weihnachtsschmuck aus dem Fenster und behalten den nadelnden Tannenbaum! Vielleicht helfen ein paar Beispiele, um besser zu verstehen was gemeint ist: Wir lieben bunte Farben! Am liebsten im Kleiderschrank. Aber seit wir in der siebten Klasse von einem Mitschüler gehänselt und als „Clown“ beschimpft wurden, tragen wir nur noch grau und schwarz. Bloß nicht auffallen. Wir haben das Schöne, die Liebe zu bunten Kleidungsstücken, aus dem Fenster geworfen und bewahren in uns den nadelnden Baum, den Schmerz der Blamage von damals.
Anderes Beispiel: Unsere Leidenschaft ist das Tanzen. Gut, wir wissen, dass wir uns weder wie Patrick Swayze noch wie Christina Aguilera bewegen, aber es macht uns großen Spaß und fühlt sich auch irgendwie befreiend an. Doch in einem Moment, in dem wir uns bei den wilden und unkoordinierten Bewegungen zu Abbas „Dancing Queen“ unbeobachtet fühlen, hallt plötzlich inmitten unserer improvisierten Choreografie ein lautes, spottendes Lachen auf. Es gilt unserem Tanz, klar erkenn-bar an dem auf uns gerichteten Zeigefinger. Seitdem haben wir nie wieder getanzt. Was ist geschehen? Wir haben uns unserer Leidenschaft entsagt und die Verletzung, ausgelacht zu werden, behalten.
Wenn der Baum Wurzeln schlägt
Diese Szenen wecken vielleicht Erinnerungen an eigene Erfahrungen, die noch heute das alte Schamgefühl wecken – mit mehr oder weniger großen „Folgeschäden“. Schwerwiegender wird es, wenn Momente der Bloßstellung oder Verletzung langfristig nicht nur unangenehm sind, sondern ganze Beziehungen daran zerbrechen. Beziehungen zur eigenen Familie. Zu Freunden. Zu Partnern. Zu Gott. Manchmal scheint es uns leichter, mit einer geliebten Person zu brechen und damit auch alle schönen gemeinsamen Erlebnisse aus dem Fenster zu werfen. Den hübschen Baumschmuck. Die guten Erinnerungen an unsere Eltern. Ihre Werte der Nächstenliebe, die sie uns vermittelt haben. Lieblingslieder, die gesungen wurden. Erfüllte Wünsche. Ausflüge. Momente des Friedens. Was bleibt, ist oft der Schmerz. Der Baum mit seinen piksenden Nadeln, der in unserem Wohnzimmer munter weiternadelt und irgendwann sogar Wurzeln schlägt. Tiefe Wurzeln. Wurzeln der Bitterkeit, die uns hart und unversöhnlich machen.
In der Bibel wird die Folge als Unfrieden bezeichnet, die aus einer bitteren Wurzel erwächst. Und die auch andere in Mitleidenschaft zieht: „Seht zu, dass keine bittere Wurzel unter euch Fuß fassen kann, denn sonst wird sie euch zur Last werden und viele durch ihr Gift verderben“ (Hebräer 12,15). In irgendeiner Form haben wir wohl alle diese Erfahrung einmal gemacht. Wir wurden verletzt und wenn uns jemand auch lange Zeit später an diese Verletzung erinnert, geht ein Schmerz durch den ganzen Körper. Da ist offensichtlich etwas in uns gewachsen, diese besagte Bitterwurzel – und sie ist alles andere als vergessen! Nein, sondern mehr denn je präsent. Wir spüren denselben Groll wie am Tag damals.
Die Frage ist doch, auf wen hat diese bittere Wurzel Einfluss? Auf den Verursacher des Schmerzes? Wohl kaum. Im schlimmsten Fall ist ihm der Schaden nicht einmal bewusst. Nein, den Unfrieden spüren wir und vermutlich auch unsere Liebsten, ob es uns bewusst ist oder nicht. Den alles durchziehenden Schmerz erleben wir, wenn jemand den einen Punkt berührt. Diese eine piksende Nadel. Das Bild des nadelnden Tannenbaums soll die Schwere der Verletzung gar nicht verharmlosen – im Gegenteil! Es ist unser Wunsch, hier ein Licht der Hoffnung auf Heilung zu spenden, gerade jetzt an Weihnachten, wenn der tiefe Wunsch nach (innerem) Frieden vermutlich seinen Jahreshöhepunkt erreicht. Vielleicht ist es ein guter Zeitpunkt, sich sein Herz einmal anzuschauen und bei all den Erfahrungen, die dort gelagert sind, zu prüfen: Does ist spark joy? Oder eher Schmerz und Wut? Noch einmal Paulus‘ Rat: „Prüft alles (…) und behaltet das Gute“ (1.Thessalonicher 5,21). Das bedeutet, sich die Zeit zu nehmen, alles einmal anzuschauen und das Gute, den schönen Schmuck, zu behalten. Die Kugeln liebevoll in die dafür vorgesehenen Kartons zu legen. Zarte Glaskugeln sanft zu betten. Aus dem Fenster geworfen wird dann der Unrat! Und nicht umgekehrt.
Prüft alles
Unser Leben ist ein Sowohl-als-auch, kein Entweder-oder. Wir haben unsere Stärken und wir haben auch unsere Schwächen. Wir fühlen Trauer und erleben Freude. Wir lachen und wir weinen, manchmal sogar gleichzeitig. Wir leben in einer bunten Welt, nicht im Schwarz-Weiß. So ist auch keines unserer Erlebnisse entweder nur das eine oder nur das andere. Nein, es sind gerade die dunklen Farbtöne, die einem farben-prächtigen Bild Tiefe und Schatten verleihen. Eine weitere Dimension. So geben oft erst die schwierigen Erlebnisse und Herausforderungen einem Menschen Charakter. Einen Erfahrungsschatz.
Der deutsche Geigenbauer Martin Schleske baut seinen Geigen aus soge- nannten „Sängerstämmen“. Das sind Hölzer, die eine Geige überhaupt erst so wunderschön klingen lassen. Doch ein Holz wird erst unter widrigen Bedingungen zum Sängerstamm – in steilen Höhen, auf denen es heftige Stürme erlebt und schweren klimatischen Bedingungen ausgesetzt ist. Denn nur so gewinnt es Widerstandskraft und seine schwingungsfähigen Zellen. Manche Erfahrungen will man sicher kein zweites Mal machen, aber vielleicht haben wir darin einen neuen Wert genommen. Innere Stärke. Gnade mit unserem Mitmenschen. „Prüft alles“ kann für Sie bedeuten: alles zu seiner Zeit. Trauer hat seine Zeit und Versöhnung hat seine Zeit. Altes loslassen hat seine Zeit. Und Abschied. Es ist ein Weg, ein Prozess, und es kann durchaus sein, dass Sie auch noch im Januar alte Nadeln auf dem Boden entdecken und zusammenkehren…
Sie heben in diesem Prozess mit Sicherheit den einen oder anderen Schatz, aber von manchen Sachen dürfen Sie sich getrost verabschieden, damit im Herzen auch wieder neue Schönheiten Raum finden. In einem der Weisheitsbücher des Alten Testaments heißt es: „Alles hat seine Zeit, alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist“ (Prediger 3,1).
Behaltet das Gute
Das Schöne am Aufräumen ist doch, dass wir vielleicht längst vergessene Schmuck- stücke, kostbare Erinnerungen, Erlebnisse und Begegnungen wiederfinden, die irgendwo im Chaos verschollen waren. Wir bergen sie, befreien sie vom Staub und geben ihnen einen besonderen Platz in unserer Lebenswohnung. Was wäre, wenn wir anfangen würden, mit diesem Blick – immer wieder auf der Suche nach dem Guten, dem Schönen, dem Kostbaren – durch unser Leben zu gehen? Was wäre, wenn in unserem Denken und Bewerten Dankbarkeit, Wertschätzung und Freude statt Unzufriedenheit, Kleinlichkeit und negative Kritik vorherrschen würden? ES könnte uns und unser Handeln nachhaltig verändern.
„Ein guter Mensch bringt aus einem guten Herzen gute Taten hervor, und ein böser Mensch bringt aus einem bösen Herzen böse Taten hervor. Was immer in deinem Herzen ist, das bestimmt auch dein Reden“ (Lukas 6,45), so beschreibt es Lukas in seiner Version der Weihnachtsgeschichte. Und wer weiß, was sich noch so alles unter den Schätzen findet? Vielleicht tauchen verschollene Träume und Sehnsüchte wieder auf und wir entdecken neu, wie wir eigentlich leben wollten, was wir vom Leben erwarten. Oder wir entdecken vergessene Talente wieder, in dies es zu investieren lohnt. Wie schön ist es, wieder Leichtigkeit und neue Motivation zu erleben, wenn man zuvor nur noch die eigene Unfähigkeit gesehen hat. Auch in Beziehungen lohnt sich dieser suchende Blick für das Gute. Wir können Freund- schaften, die wir aus den Augen verloren haben, wieder aufnehmen. Wir entwickeln vielleicht einen versöhnlichen Blick auf die eigene Familie. Wir entdecken, wo sich Menschen in uns investiert haben, und werden ermutigt, Gutes weiterzugeben. Und wenn uns dann bewusst wird, wie reich wir doch beschenkt sind, werden wir frei, unserer Schätze zu teilen, Gutes weiterzugeben.
Eine neue Weihnachtstradition Vielleicht kann es auch für Sie zu einer neuen Weihnachtstradition werden. Die Zeit des Jahreswechsels eignet sich perfekt für einen solchen „Knut“, an dem man sich noch einmal das vergangene Jahr anschaut, das Erlebte prüft und das Gute behält. Mit dem Abnehmen der hübschen Weihnachtskugeln rufen Sie sich die Schönheiten des vergangenen Jahres in Erinnerung, kostbare Begegnungen, ermutigende Gespräche und überwundene Hürden. Und mit dem Herauswerfen des nadelnden Baums dürfen auch unangenehme Erfahrungen vergeben ausgesöhnt oder aus- sortiert werden. Haben sie sich zu Beginn des Lesens vorgenommen, dieses Buch auch bewusst als Wegweiser für ihre Suche nach dem Warum und Wozu in ihrem Leben zu nehmen? Dann möchten wir Sie dazu ermutigen, sich auch noch einmal Ihr bisheriges Glaubensleben unter diesem Knut-Prinzip anzuschauen. Haben Sie vielleicht auch durch schlechte Erfahrungen im persönlichen Leben Kirche, den Glauben oder gar Gott „ aus dem Fenster geworfen“? Gibt es beim genaueren Betrachten vielleicht doch Erlebnisse oder Inhalte, die lohnenswert wären, sie zu bergen und aufzubewahren? Wer weiß, vielleicht entdecken Sie auch hier Schätze, die Ihnen helfen, Gott neu kennenzulernen.